ESSO HÄUSER ECHO – ein Nachruf

Der Megafonchor singt mit den geisterhaften Stimmen eines verschwundenen Ortes: Zwölf Frauen* mit Megafonen vertonen und verstärken Interview-Aussagen ehemaliger Bewohner*innen, Nutzer*innen und Nachbar*innen der sogenannten »Esso-Häuser« auf der Hamburger Reeperbahn.

Die Gebäude wurden 2009 vom Konzern »Bayerische Hausbau« gekauft, der von Beginn an auf deren Abriss spekulierte. Die »Esso-Häuser« mit ihren bezahlbaren Mietwohnungen, Geschäften, legendären Clubs und einer als Dorfplatz des Kiezes geltenden Tankstelle hatten sich über Jahrzehnte zu einem wichtigen Teil des Lebens auf St. Pauli entwickelt. Sie wurden im Dezember 2013 geräumt und kurz darauf abgerissen.

ESSO HÄUSER ECHO war zugleich DeMonstration und Trauerfeier nach der Räumung der Häuser. Die Performance bezieht sich auf einen Moment des Scheiterns im politischen Widerstand. Dabei geht es nicht zuletzt um den Unterschied zwischen Trauer und Resignation.



"Solche Läden gab das hier früher/ `ne ganze Menge/ So Nachbarschaftskneipen/ Guck Dich mal um/ Alles weg/ Hier gab es früher mal Läden/ Da biste umgefall´n/ Guck sich mal um/ Alles weg/ Es sind die ganzen Leute weg. Ja/ Tut mir Leid äh/ Das hört sich verbittert an/ Das hört sich immer wieder dasselbe an/ Aber/"

„Es entsteht eine ganz besondere Atmosphäre – die Geschäftigkeit der Innenstadt scheint für einen angehaltenen Moment unterbrochen. Die Entfremdung des Agitprop-Instruments Megaphon zu einer vielstimmigen Flüster- und Wispertüte, der Ersatz der politischen Kampfansagen durch das Bedauern eines Verlusts, der Einsatz von Ironie und Poesie als Gegensprache zur vermeintlich instrumentellen Vernunft, zum menschenverachtenden Kalkül des politisch-ökonomischen Komplexes macht die Faszination dieser minimalistischen Performance aus.“ – Bettina Schulte, BADISCHE ZEITUNG (13.11.2014)

„Wie Klageweiber sehen die Frauen aus, wenn sie abwechselnd auf den Boden und den eigenen Brustkorb schlagen. Die Megaphone verwandelten sich in ihren Händen wahlweise in eine Waffe, einen bedrohlichen Schlund oder mahnende Glocken.“ – DEF, HAMBURGER MORGENPOST (3.5.2014)

„Als der Chor schweigt, ist es ganz still. In geordneter Reihe gehen die Frauen vom Platz zurück zur Taubenstraße. Erst dort beginnt der Applaus, das Gejohle, fünf Minuten lang.“ – Irene Jung, HAMURGER ABENDBLATT (25.05.2014)

„Worte transportieren, die dem Betrachter eine Haltung abringen – das kann Kunst leisten.“ – DERSTANDARD (10.09.2014)

Credits
Von und mit: Heike Noeth, Ann-Kathrin Quednau, Liz Rech, Regina Rossi, Annika Scharm, Siri Keil, Sylvi Kretzschmar und Lois Bartel, Verena Brakonier, Anne Brüchert, Doreen Grahl, Andrea Hantscher, Oxana Smakova, Anja Winterhalter
Choreographische Recherche: Camilla Milena Fehér
Musik: SKILLS (Camilla Milena Fehér & Sylvi Kretzschmar)
Komposition Choral: Christine Schulz
Dramaturgie: Liz Rech
Produktionsleitung: ehrliche arbeit – freies kulturbüro
Assistenz: Annika Scharm
Dank an: Initiative Esso-Häuser und GWA St. Pauli
Gefördert von: Kulturbehörde Hamburg und Graduiertenkolleg »Versammlung und Teilhabe. Urbane Öffentlichkeiten und Performative Künste« (HafenCity Universität, Forschungstheater/ FUNDUSTHEATER und K3-Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg

Dokumentationen von ESSO HÄUSER ECHO wurden u.a. in der Wiener Secession im Rahmen des SALON PUBLIC HAPPINESS/ UTOPIAN PULSE (2014), im Württemberggischen Kunstverein Stuttgart (2015), in der Ausstellung TOUCH THE REALITY (Kunstraum Niederösterreich, 2016) sowie im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien und weltweit als Teil der arch+ Ausstellung AN ATLAS OF COMMONING (2018-2022) gezeigt. Die Performance eröffnete das Festival POLITIK IM FREIEN THEATER 2014. Mitschnitt der gesamten Performance

Video: elektrosafari/ Svenja Baumgardt, Mario Gehrke
Fotos: Margit Czenki